Der Singlemalt Adventskalender

Der Singlemalt Adventskalender

Ein Adventskalender voller Single Malts klingt schon verlockend – doch wenn jedes Türchen ein Blind Tasting ist, wird daraus ein echtes Dezemberabenteuer. Wer glaubt, Whisky ließe sich leicht erkennen, sollte einmal versuchen, ihn ohne Etikett zu beurteilen.

Der Singlemalt Adventskalender

Seit 2018 habe ich ein Ritual, das für mich zuverlässig zur Vorweihnachtszeit gehört wie Kerzenlicht und viel zu trockene Lebkuchen: der Singlemalt Adventskalender des Scots Whisky Forum (auch bekannt als Cutty Sark Forum). Wer jetzt an kleine Türchen mit Mini-Fläschchen denkt, liegt nur halb richtig. Natürlich gibt es Whisky. Und natürlich ist er schottisch, Single Malt, sorgfältig ausgewählt. Aber das ist erst die halbe Wahrheit.

Der eigentliche Reiz liegt im Blindtasting-Wettbewerb, der das Ganze zu einem sportlichen Dezemberabenteuer macht. Jeden Tag darf man bis 23:00 Uhr seinen Tipp abgeben – Region, Brennerei, Alter, was auch immer man herauszuschmecken glaubt. Oder besser gesagt: herauszuschmecken hofft. Denn wenn wir ehrlich sind: Die Trefferquote ist bei den meisten Teilnehmenden… nennen wir es diplomatisch “ambitioniert”.

Ich selbst zähle nicht zur Elite der Duft-Detektive, die aus einem Glas moderatem Rauchs bereits den Heizungsfilter eines Brennereigebäudes herausanalysieren. Im Erkennen von Destillerien bin ich, sagen wir, solide Mittelklasse – mit gelegentlichen Glanzmomenten und ebenso regelmäßigen Bauchlandungen. Aber das ist vollkommen egal. Denn der Spaß liegt nicht im Gewinnen, sondern im Blindverkosten an sich.

Warum Blindverkostungen die ehrlichsten Verkostungen sind

Blind tastings sind, um es mit Samweis Gamdschie zu sagen, “ein wahrer Augenöffner, keine Frage!”
Und recht hat er.

Unsere sensorische Wahrnehmung ist alles andere als objektiv. Sie ist launisch, beeinflussbar, und vor allem: sie liebt Erwartungen. Ein Whisky für 200 € muss doch großartig sein, oder? Schließlich möchte niemand vor sich selbst rechtfertigen, dass man ein kleines Vermögen für eine Spirituose ausgegeben hat, die im schlimmsten Fall nur „ganz nett“ schmeckt.

Dabei ist Whisky natürlich viel mehr als „nur Schnaps“. Fassauswahl, Reifezeit, Holz, Klima – all das formt das Endprodukt. Und ja, diese Faktoren machen Whiskys komplex, spannend, einzigartig. Aber die Romantik, die die Industrie gerne verkauft, ist eben oft genau das: gut inszenierte Romantik.

Ein Blind Tasting dagegen ist brutal ehrlich. Ohne Etikett, Preis und Erwartungshaltung bleibt am Ende nur eine Frage: Schmeckt’s oder schmeckt’s nicht?
Und da kommt es schon mal vor, dass ein 60-Euro-Malt begeistert, während ein Prestige-Whisky für das Dreifache höfliches Schulterzucken hervorruft.

Wie schwer es wirklich ist, Whisky blind zu erkennen

Wer glaubt, seine Lieblingsdestillerie immer sofort herauszuschmecken, der irrt. Und zwar gewaltig.

Die Tagesform spielt eine Rolle. Was man gegessen hat. Wie lange der Whisky im Glas stand. Wie viel Sauerstoff er bereits gesehen hat. Und dann kommt noch die moderne Produktionsrealität dazu:
Viele schottische Destillerien sind längst nicht mehr so festgelegt im Stil wie früher.

  • Speyside kann rauchig (Benromach).

  • Islay kann mild (Bunnahabhain, non-peated Caol Ila).

  • Und Riesen wie Roseisle wurden praktisch dafür gebaut, stilistische Variabilität industriell zu liefern.

Der Grund ist simpel: Der Brot-und-Butter-Markt ist immer noch der Blended Whisky. Vielfalt ist wirtschaftlich.

Single Malt dagegen ist – trotz wachsender Bedeutung – ein Luxusprodukt. Und Luxusprodukte müssen nicht zwingend berechenbar sein.

Mein diesjähriger Adventskalender: ein kleines Experiment

Dieses Jahr ist der Adventskalender für mich etwas Besonderes. Berufliche Gründe sorgen dafür, dass ich in der ersten Dezemberwoche keinen Alkohol trinken darf. Also habe ich mir eine kleine Challenge verpasst: Vorverkosten.

Den 1. bis 7. Dezember habe ich auf drei Tage verteilt abgearbeitet:

  • Nummern 1–3 am späten Abend des 28. November (streng genommen schon der 29.).

  • Nummern 4–5 in der folgenden Nacht.

  • Nummern 6–7 ganz bodenständig am frühen Abend des 30. November – morgen ist schließlich Arbeitstag.

Meine Tasting Notes und Tipps veröffentliche ich trotzdem erst jeweils um 23:00 Uhr am betreffenden Tag. Nicht aus Geheimniskrämerei, sondern aus Fairness. Ich möchte niemanden beeinflussen – weder in die richtige noch in die vollkommen falsche Richtung.

Gerade deshalb ist es dieses Jahr besonders spannend für mich. Ich kann meine eigenen Einschätzungen nicht spontan korrigieren. Ich muss mit dem leben, was ich vorher erschmeckt habe. Ein Experiment, das ich mir nicht jedes Jahr antun würde, aber jetzt, wo es passiert: Ich freue mich darauf.

Fazit

Der Singlemalt Adventskalender ist für mich jedes Jahr ein Highlight – nicht wegen der Trefferquote, sondern wegen der Erfahrung. Blind Tasting zwingt zur Ehrlichkeit, zu Neugier, zu Offenheit. Und manchmal auch dazu, die eigenen Vorurteile über Bord zu werfen.

Dieses Jahr wird für mich anders, vielleicht sogar lehrreicher als sonst. Und ich bin ehrlich gesagt sehr gespannt, wie viele meiner sieben vorgezogenen Tipps sich als Treffer, Beinahe-Treffer oder kolossale Fehlschüsse herausstellen.

Aber das gehört dazu. Sonst wäre es ja kein Adventsabenteuer.